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Coronabedingte Betriebsschließungen
als Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB

Seit März 2020 kommt es zu behördlich angeordneten Schließungen von Geschäften zur Reduzierung des Personenverkehrs im öffentlichen Raum und zur Eindämmung der weiteren Verbreitung des Corona-Virus Sars-CoV-2. Infolgedessen entbrennt zwischen den Mietvertragsparteien häufig Streit darüber, ob denn ein Mieter trotz der angeordneten Schließungen weiterhin zur Zahlung des (vollen) Mietzinses verpflichtet ist.

Diese Rechtsfrage wurde durch mehrere Gerichtsentscheidungen im Herbst 2020 sehr unterschiedlich beantwortet.

1. Urteile zulasten der Mieter: Mietzins ist weiter in voller Höhe zu bezahlen
In zwei Entscheidungen kamen das LG Frankfurt/M. mit Urteil vom 05.10.2020 – Az. 2-15 O 23/20 sowie das LG Lüneburg mit Urteil vom 17.11.2020 – Az. 5 O 158/20 zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Herabsetzung der Miete für den Zeitraum der behördlich angeordneten Schließungen aus § 536 Abs. 1 S. 2 BGB abzulehnen sei.
Maßgebliche Argumente waren dabei zum einen, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Mieter das allgemeine Verwendungsrisiko der Mietsache trägt. Des Weiteren stellen die behördlichen Schließungsanordnungen keinen „Mangel der Mietsache“ im mietrechtlichen Sinne dar, welcher zwingende Voraussetzung für die Herabsetzung der Miete ist. Schließlich dienen die hoheitlichen Maßnahmen wie Geschäftsschließungen dem Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren; sie knüpfen damit nicht an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache an.

2. Urteile zugunsten der Mieter: Mietzins im Einzelfall bis zur Hälfte herabzusetzen
Das LG München I kommt mit Urteil vom 22.09.2020 – Az. 3 O 4495/20 zum gegenteiligen Ergebnis: demnach sei bei behördlich angeordneten Schließungen nicht der Risikobereich des Mieters betroffen. Diese stellen einen Mangel der Mietsache dar, wenn die angeordnete Beschränkung einen Bezug auf entweder

– Die Beschaffenheit
– Die Benutzbarkeit oder
– Die Lage

der Mietsache aufweist, der vereinbarte Geschäftszweck aus dem Mietvertrag unmittelbar betroffen ist und die Beschränkung grundsätzlich besteht. Jedoch gelten vertraglich vereinbarte Verpflichtungen weiterhin. Demnach kann im Einzelfall die vertragliche Übernahme eines solchen Risikos durch den Mieter einer Herabsetzung der Miete entgegenstehen. Hierzu sind die mietvertraglichen Konditionen im Einzelfall nach den allgemeinen Grundsätzen auszulegen.

Eine andere Kammer des LG München I kam mit Urteil vom 05.10.2020 – Az. 34 O 6013/20 zu einem gleichen Ergebnis, jedoch auf einem anderen Begründungsweg: demnach seien behördlich angeordnete Schließungen für den Mieter als unzumutbare Beeinträchtigungen des Geschäftsbetriebes zu sehen. Danach sei der zugrundeliegende Mietvertrag so anzupassen, dass eine Mietzinsreduzierung für die Zeit der Schließungen jedenfalls bis zur Hälfte des eigentlich geschuldeten Mietzinses anzunehmen. Begründet wird dies zwar erneut mit dem allgemeinen Verkehrsrisiko, welches sich jedoch die Vertragsparteien solidarisch teilen sollen. Der Risikobereich des Mieters sei nicht betroffen, denn die Schließungen knüpfen weder an der Person des Gewerbetreibenden noch an der Mietsache selbst an. Schließlich sei die vollständige Schließung erkennbar nicht zur Grundlage des Mietvertrages miteinbezogen und vorhersehbar gewesen. Mit ähnlicher Argumentation kommt das LG Mönchengladbach im Urteil vom 02.11.2020 – Az. 12 O 154/20 zum gleichen Ergebnis. Ziel der Maßnahmen seien die Verminderung sozialer Kontakte. Dies könne jedoch sowohl durch Inanspruchnahme der Mieter als auch der Vermieter erreicht werden. Demnach erfolge es willkürlich, ob die Maßnahmen sach- oder verwendungsbezogen sind. Dies könne aber nicht zulasten des Mieters gehen.

Zur Schaffung von Rechtssicherheit hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 31.12.2020 zwei neue gesetzliche Regelungen eingeführt.

1. § 7 des Art. 240 EGBGB – Gesetzliche Vermutung für eine Störung der Geschäftsgrundlage
Dieser normiert eine sog. gesetzliche Vermutung, der eine Beweiserleichterung zugunsten des Mieters darstellt. Es wird also angenommen, dass die aufgrund der Corona-Pandemie behördlich angeordnete Schließung den Mieter unmittelbar trifft und sich dieser Umstand, welcher zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. Damit werden die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB angenommen, die als Rechtsfolge die Möglichkeit der Anpassung des Mietvertrages an die geänderten Bedingungen des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs ermöglichen. Doch die Vermutung ist widerlegbar, wenn der Vermieter darlegen und beweisen kann, dass der Vertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem die Pandemie bereits bekannt war und es für den Mieter vorhersehbar war, dass es zu behördlich angeordneten Schließungen kommen wird.

2. § 44 EGZPO – Beschleunigte Gerichtsverfahren zur Geltendmachung der Vertragsanpassung bei Miete und Pacht
Sollten sich die Parteien außergerichtlich über eine Vertragsanpassung nicht einigen können, sollen Gerichte darüber entscheiden, ob und wie eine Anpassung auszusehen hat. Diese Verfahren sind bevorzugt und beschleunigt zu behandeln. So soll ein früher erster Termin zur Verhandlung spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift erfolgen.

Empfehlungen für den Mieter:
– Überprüfung des Mietvertrages hinsichtlich Übernahme von Haftungsrisiken
– Suche nach wirtschaftlich tragbarer Lösung mit dem Vermieter
– Initiative ergreifen! Herabsetzung der Miete tritt nicht automatisch von selbst ein!
– Beschränken auf die Zeit der behördlichen Schließungsanordnung
– Einsparungen durch Kurzarbeit, Corona-Hilfen oder Wegfall des Wareneinkaufs zu berücksichtigen
– Zukünftige Mietzinszahlungen nur unter Vorbehalt leisten

Empfehlungen für den Vermieter:
– Verhandlungsbereitschaft entgegenbringen, da anderenfalls kostenintensive Gerichtsverfahren mit erheblichem Finanzrisiken drohen
– Für künftige Mietverträge standardmäßige Anpassungsklauseln aufnehmen. Hierzu Überprüfung der Mietverträge erforderlich

Mag. Iur. Enes Yildiz, Rechtsreferendar

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